Der Mensch der Gesetzlosigkeit

2. Brief an die Thessalonicher, Kapitel 2, Verse 1 bis 12.

1 Brüder, was die Gegenwart unseres Herrn Jesus Christus betrifft und dass wir versammelt werden, um bei ihm zu sein, bitten wir euch: 2 Lasst euch in eurem vernünftigen Denken nicht schnell erschüttern oder beunruhigen, auf der Grundlage einer inspirierten Aussage, einer mündlichen Botschaft oder auch eines Briefes, der angeblich von uns ist, wo behauptet wird, dass der Tag Jehovas da ist.

Paulus fürchtete die Brüder könnten sich durch falsche Briefe, Aussagen und Prophezeiungen erschüttern und vom vernünftigen Denken abbringen lassen und glauben der Tag Jehovas sei bereits da.

3 Lasst euch auf keine Weise verführen, denn er [der Tag Jehovas] wird nicht kommen, bis der Abfall (bzw. die Rebellion) zuerst kommt und der Mensch der Gesetzlosigkeit (bzw. der Mensch, der sich der bestehenden Ordnung widersetzt, griechisch: anomia) offenbart wird, der Sohn der Vernichtung.

Vor dem Tag Jehovas, dem Tag des Gerichts, sollte es zuerst zur Rebellion kommen. "Abfall" bedeutet ein Wegstehen oder Aufgeben von etwas, aber auch ein Aufbegehren gegen etwas.

Jesus hatte vorhergesagt: Wenn ihr Jerusalem von Heeren umlagert seht, dann erkennt, dass ihre Verwüstung nahegekommen ist. 21 Dann sollen die, die in Judạ̈a sind, in die Berge zu fliehen beginnen, und die in ihrer Mitte sind, sollen hinausgehen, und die, die sich an Orten auf dem Land befinden, sollen nicht in sie hineingehen; 22 denn dies sind Tage, an denen nach dem Recht verfahren wird, damit alles erfüllt werde, was geschrieben steht. 23 Wehe den schwangeren Frauen und denen, die ein Kleinkind stillen in jenen Tagen! Denn dann wird große Not im Land sein und Zorn über diesem Volk; 24 und sie werden durch die Schärfe des Schwertes fallen und als Gefangene zu allen Nationen geführt werden; und Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden, bis die bestimmten Zeiten der Nationen erfüllt sind. (Luk 21:20-24)

Die Christen sollten fliehen, wenn Jerusalem belagert werden würde und „das abscheuliche Ding, das Verwüstung verursacht“, an Heiliger Stätte stünde.(Mat 24:15). Das abscheuliche Ding waren die Heere Roms, die im Jahre 66 u.Z. die Stadt Jerusalem umzingelten, in sie eindrangen und bis zum Tempel vordrangen. Aus ungeklärten Gründen zogen sie aber unvermutet ab, wodurch sich für die Christen die Möglichkeit ergab zu fliehen. Die rebellischen Juden betrachteten dies als ein Eingreifen Gottes und jagten den Römern sogar noch nach.

Was veranlasste denn die Heere Roms gegen Jerusalem zu Felde zu ziehen? Im Lande und besonders in Jerusalem rebellierten die Juden gegen die Besatzungsmacht Rom. Sie widersetzten sich den Römern und fielen ab von der Unterordnung. Die vernünftigeren und gemäßigteren Juden hatten längst das Christentum angenommen. Übrigblieben in der Stadt waren die Engstirnigen und Hartherzigen, die Nationalisten und religiösen Fundamentalisten, die Bequemen und die Materialisten.

Die Juden, die sich nicht bekehren wollten, und besonders die Geistlichkeit in Jerusalem, erwiesen sich als „Der Mensch der Gesetzlosigkeit“ und „der Sohn der Vernichtung“. Sie rebellierten sowohl gegen die römische Ordnung als auch gegen Jehova Gott. Sie brachten so Vernichtung über sich und das Volk, als die Römer schließlich im Jahre 70 n.Chr. die Stadt eroberten und den Tempel zerstörten. Die Christen beachteten dagegen Jesu Rat und hielten sich nach dem 1. Ansturm der Römer auf Jerusalem von der Stadt fern und flohen in die Berge.

Was kennzeichnet den Menschen der Gesetzlosigkeit?

4 Er widersetzt sich und erhebt sich über jeden, der „Gott“ oder ein Gegenstand der Verehrung genannt wird, so dass er sich in den Tempel des Gottes niedersetzt und sich öffentlich darstellt, dass er ein Gott [göttlich] sei.

Die Juden in Jerusalem haben sich nicht nur den Römern, deren falschen Göttern und dem göttlichen Kaiser widersetzt, die verbliebene Geistlichkeit hat sich angemaßt Gott weiterhin in seinem Tempel zu vertreten und ihm zu dienen. Sie behaupteten öffentlich Gott sei mit ihnen und wiesen die Warnungen der Christen zurück. Sie machten sich selbst zu einem Gott, weil sie selbst entschieden, was sie und das Volk tun, und wie es sich zu verhalten habe

5 Erinnert ihr euch nicht, dass ich euch diese Dinge wiederholt sagte, als ich noch bei euch war?

Paulus hatte erst vor kurzem in seinem 1. Brief auf die weitere Entwicklung aufmerksam gemacht. „Wann immer sie sagen „Frieden und Sicherheit!“, würde plötzliche Vernichtung sie überfallen (1.Thes 5:1-3). Das erfüllte sich als die Römer nach der 1. Belagerung wieder abzogen. Die Juden in Jerusalem dachten in Sicherheit zu sein, was aber ein Trugschluss war.

6 Und so kennt ihr jetzt das, was als ein Hemmnis wirkt, im Hinblick darauf, dass er zu seiner eigenen bestimmten Zeit geoffenbart wird.

Die Römer behielten zunächst noch die Kontrolle und Gott ließ die Christen im Land predigen und das Volk warnen. Es war immer noch die Zeit des Wohlwollens Jehovas. Zur bestimmten Zeit sollte aber der Mensch der Gesetzlosigkeit offenbart werden.

7 Allerdings ist das Geheimnis dieser Gesetzlosigkeit bereits am Werk, doch nur bis der, der gerade jetzt hemmend wirkt, aus ihrer Mitte verschwunden sein wird.

Die Situation zwischen der Besatzungsmacht Rom und den Juden war angespannt und eskalierte immer mehr. Die nationalistischen Juden begehrten gegen Rom auf und wollten sich nicht länger unterwerfen. Ein Geheimnis war diese Tatsache natürlich vor allem für die Beteiligten, aber auch unter den Christen mögen dies einige nicht gewusst haben. Dennoch wirkte etwas als Hemmnis, das waren die Christen in der Stadt, die weiterhin dort predigten. Und natürlich war die bestimmte Zeit noch nicht da.

8 Dann allerdings wird der Gesetzlose geoffenbart werden, den der Herr Jesus beseitigen wird durch den Geist seines Mundes und zunichte machen wird durch das Offenbarwerden seiner Gegenwart.

Der Mensch der Gesetzlosigkeit sollte zur bestimmten Zeit offenbart werden. Anschließend würde Jesus ihn beseitigen, und zwar durch „den Geist seines Mundes“, er würde veranlassen, dass die Römischen Heere Jerusalem belagern und schließlich den Tempel zerstören, so wie er es zuvor prophezeit hatte. Jesus war insofern gegenwärtig, als er  dafür sorgte, dass sich die Ereignisse wie vorausgesagt entwickelten.

9 Doch ist die Gegenwart des Gesetzlosen gemäß der Wirksamkeit des Satans mit jeder Machttat und mit lügenhaften Zeichen und Wundern 10 und mit jedem Trug der Ungerechtigkeit für die, die zur Vergeltung dafür zugrunde gehen, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, damit sie gerettet würden.

Anscheinend hatten die Juden immer noch den Segen Gottes. Immer noch stand der prächtige Tempel in Jerusalem und die auf dem Altar dargebrachten Opfer waren offensichtlich in Gottes Augen wohlgefällig. Tatsächlich widersetzten sie sich aber Gott, seinem eingesetzten König, Jesus Christus und den Aposteln. Sie nahmen die Gute Botschaft nicht an und hielten an ihrer überholten Form der Anbetung fest. Paulus nennt auch einen wesentlichen Grund: Ihnen fehlte es an der Liebe zur Wahrheit. Hätten sie diese gehabt, dann hätten sie die Botschaft geprüft und selbst Nachforschungen angestellt. Dadurch hätten sie einen Glauben erlangen können, der sie gerettet hätte.

11 Und darum lässt Gott ihnen eine Wirksamkeit des Irrtums zugehen, damit sie der Lüge glauben, 12 so dass sie alle gerichtet werden, weil sie der Wahrheit nicht glaubten, sondern an Ungerechtigkeit Gefallen hatten.

Gott bewahrt die rebellischen Juden nicht vor den falschen Propheten in ihren eigenen Reihen. Diese behaupten, Gott wäre mit ihnen und würde die Heilige Stadt Jerusalem niemals aufgeben. Das ist es, was sie hören wollen, und Gott verhindert es nicht. Sie möchten weiterhin das machen, was sie für gut und richtig halten.

Heutige Erfüllung

Vers 8 lässt vermuten, dass ein Mensch der Gesetzlosigkeit auch zur Zeit der Gegenwart Christi existieren wird, weil hier ausdrücklich von der Gegenwart Christi die Rede ist. Bei seiner Wiederkunft wird er gegen die falsche, überholte Religion vorgehen. Und so wie er damals die Heere Roms benutzte, so sorgt er heute dafür, dass sich die Vereinten Nationen gegen Babylon die Große wenden (Off 17:15-17). Menschen können sich nicht auf die Religion ihrer Vorväter berufen und daran festhalten. Sonst werden sie mit ihrer Religion untergehen. Aber wie zur Zeit Paulus lässt Jesus weiterhin die Gute Botschaft predigen und gibt Menschen die Gelegenheit Babylon die Große zu verlassen (Off 18:4).
Während der Zeit der Apostel wurde der Mann der Gesetzlosigkeit schließlich offenbart und die wahren Anbeter Gottes. Die Apostel waren von Christus selbst auserwählt worden und ihre Geistesgaben und ihr Predigtwerk waren ein Beweis für ihre göttliche Berufung. Nach ihrem Tod war jedoch nicht immer klar, wer Christus vertrat. Der Weizen war nicht unbedingt vom Unkraut zu unterscheiden. In der Zeit des Endes sollte aber beides voneinander getrennt werden und die Gerechten würden so hell leuchten, wie die Sonne im Königreich ihres Vaters. Auch wenn heute Gemeinden, Prediger, Geistliche und Lehrer große Zeichen und Wunder für sich beanspruchen, so heißt das nicht, dass sie die Gesandten und Vertreter Jesus sind (Vers 9). Wer ist in Wirklichkeit der treue und verständige Sklave, den der Herr über seine Hausknechte gesetzt hat (Mat 24:45)? Wie damals lehnen auch heute Menschen die verkündeten Wahrheiten ab, weil es ihnen an der Liebe zur Wahrheit fehlt und sie Gefallen an Ungerechtigkeiten haben (Vers 10) Sie wollen sich nicht ändern und so leben, wie sie es für richtig halten.

Der Mensch der Gesetzlosigkeit ist nicht zu verwechseln mit dem Antichristen. Beide widersetzen sich Christus, aber der Antichrist richtet sich die Person, Rolle und Lehre von Jesus Christus.


Zusammenfassung

In dem Brief an die Thessalonicher beweist Paulus, dass der Tag Jehovas (bzw. der Tag des Gerichts) noch nicht da sein kann. Denn vor diesem Tag, der sich bereits zu seiner Zeit abzeichnet, muss es zuerst zum Abfall bzw. zur Rebellion kommen und der „Mensch der Gesetzlosigkeit“ muss offenbart werden. Von diesem Tag der Rache spricht Paulus in Kapitel 1:6-10. Den wahren Christen bringt er Erleichterung, ihren Gegnern Drangsal und Vernichtung.

2. Thes 2:6 zeigt an, dass der Mensch der Gesetzlosigkeit zur bestimmten Zeit offenbart werden sollte, nachdem das Hemmnis verschwinden würde. Die Römer behielten zunächst noch die Kontrolle und Gott ließ die Christen im Land predigen und das Volk warnen. Vers. 7 zeigt, dass die Gesetzlosigkeit bereits zu Paulus Zeiten am Werk war. Die Situation zwischen der Besatzungsmacht Rom und den Juden eskalierte immer mehr. Die Juden begehrten gegen Rom auf und wollten sich nicht länger unterwerfen.
Schließlich rückten die Römer gegen Jerusalem vor und zerstörten die Stadt und den Tempel.

Die politischen Juden, die gegen die römische Obrigkeit rebellierten, und die religiösen Juden, die das Evangelium nicht annahmen und somit gegen Jehova Gott rebellierten, erwiesen sich als der "Mensch der Gesetzlosigkeit" und der "Sohn der Vernichtung", sie brachten Vernichtung über sich, das Volk, die Stadt und den Temopel.
Statt „Mensch der Gesetzlosigkeit“ wäre „Mensch der Rebellion“ oder einfach „Rebellen“ vielleicht die treffendere Bezeichnung.


Fußnote: Interessanterweise wurde Paulus später selbst als Gesetzloser bezeichnet. Nach seiner Rückkehr von der dritten Missionsreise wurde ihm in Jerusalem vorgeworfen er würde überall die Juden zum Abfall vom mosaischen Gesetz verleiten und den konvertierten Heiden nicht die jüdischen Bräuche lehren. (Apg 21:20, 21).
Paulus war aus Sicht der Juden ein Abtrünniger des Gesetzes Mose, weil er es weder praktizierte noch lehrte. Er hatte es aufgegeben und sich für etwas viel Besseres entschieden: das Gesetz des Christus. Abfall vom alten Glauben und vom jüdischen Religionssystem war notwendig, um Gott weiterhin zu gefallen. Paulus war Christus gehorsam und daher war sein Abfall keine Sünde, sondern ein Erfordernis. Die Gesetzlosen waren die, welche weiterhin an dem Gesetz festhielten. Auch heute könnte Gott Anpassungen, Änderungen und Neuerungen erwarten. Sind wir wie die verständigen Jungfrauen darauf vorbereitet und können wir jetzt und in der Zukunft unser Licht leuchten lassen (Mat 25:1-11) ?